
Um mich vom ufologischen Grusch – jenem Krempel, wie man in Bayern sagt – zu erholen, griff ich zu einer „Teilbiographie“ Goethes, nämlich Goethes letzte Reise von Siegrid Damm.
Zwar ist dieses Buch, streng genommen, keine eigentliche Biographie, und etwa drei Viertel des Inhalts kreisen um Goethes bergbauliche Unternehmungen in Ilmenau – doch hat mich das keineswegs gestört.
Mich interessiert alles, was in Goethes Lebenskreis fiel. Noch heute erinnere ich mich mit großer Freude an das Buch Goethes Mutter von Dagmar von Gersdorff – ein lesenswertes Werk, das mir über Jahre in Erinnerung geblieben ist.
Zurück also zur letzten Reise:
Besonders bemerkenswert fand ich eine Episode, in der ein Traumgesicht des Dichterfürsten geschildert wird. In einer Vision erscheint Goethe als ein im Nebel irrlichternder Wanderer, der auf eine Gruppe trifft – jene Gesellschaft, der er einst bei seiner Ankunft in Weimar angehörte.
Es kommt zu einem Dialog mit seinem eigenen früheren Ich. Leider erfährt man über den Inhalt dieses inneren Gesprächs nichts Näheres. Die Quelle schweigt sich aus. Und doch lässt sich erahnen, dass Goethe in seinem Werk – und womöglich in seinem Leben – einer ständigen Durchdringung von Zeit und Selbst, von Erinnerung und Vision, Raum gegeben hat.
Goethe ist auf meinem Blog kein Unbekannter; die Spannweite seiner „anomalistischen“ Erscheinungen reicht von einer Ufo-Sichtung bis hin zur Bilokation. Eine Frage drängt sich auf: Erlebte Goethe ein TNE – ein Todesnaherlebnis?
In der Biographie Goethe – Kunstwerk des Lebens von Rüdiger Safranski findet sich ein bemerkenswerter Hinweis: Anfang 1801 erkrankte Goethe schwer an Gürtelrose. Safranski schreibt:
„Goethe kämpfte mit dem Tod. Er habe sich, erzählt er später, in eine Landschaft aufgelöst empfunden, durchaus wach und wahrnehmend, doch ohne Bewusstsein seiner selbst.“
Diese Aussage, schwer zu deuten, lässt zumindest Raum für die Möglichkeit eines außergewöhnlichen Bewusstseinszustandes, den man heute vielleicht als Nahtoderlebnis bezeichnen würde.
In einem weiteren Fall, überliefert ebenfalls bei Safranski, fällt ein symbolträchtiges Ereignis in Goethes Arbeitszimmer mit einem historischen Einschnitt zusammen:
Am 18. Oktober 1813, dem Tag der Völkerschlacht bei Leipzig und damit dem Ende von Napoleons Vormachtstellung in Europa, stürzt ein Basrelief Napoleons – aus Gips gefertigt, neben Goethes Schreibtisch hängend – ohne ersichtlichen Anlass zu Boden. Es blieb nahezu unbeschädigt. War es Zufall, Symbol oder Omen? Die Zeitgenossen hatten ihre eigene Sprache für derlei Vorkommnisse.
Leuchtende Lichter und das Name Game
Auch Goethes Reise nach Leipzig – 1765, er war gerade 16 Jahre alt – ist von einem mysteriösen Zwischenfall begleitet. Richard Friedenthal schildert in seiner Biographie Goethe.
Sein Leben und seine Zeit, wie der Wagen bei Einbruch der Dunkelheit in der Nähe von Auerstädt steckenblieb – dem Ort, an dem vier Jahrzehnte später eine berühmte Schlacht stattfinden sollte. Die Nacht verbrachten sie nahe eines verlassenen Steinbruchs. Dort, so Goethe selbst, flimmerten zahllose Lichter:
„... nicht etwa still saßen, sondern hin und wieder hüpften… ob dies nun ein Pandämonium von Irrlichtern oder eine Gesellschaft von leuchtenden Geschöpfen gewesen, will ich nicht entscheiden.“
Die vollständige Passage aus dem zweiten Band von Dichtung und Wahrheit liest sich wie eine prototypische CE-1-Sichtung avant la lettre – eine nächtliche Erscheinung unerklärlicher Lichter, die Goethe tief beeindruckt haben muss.
Er spricht von einem „wundersam erleuchteten Amphitheater“, das in der Tiefe funkelte – mit Lichtpunkten, die auf und ab hüpften, manche ruhig verweilend, andere in Bewegung. Der Postillon wusste nichts von solchen Phänomenen, erwähnte aber, dass sich dort ein wassergefüllter Steinbruch befinde.
Friedenthal ergänzt mit einem augenzwinkernden Detail: Nach seiner Ankunft in Leipzig stieg Goethe ausgerechnet im Gasthof Zur Feuerkugel ab.
Ob ihm diese Namenssynchronizität – ein echtes „Name Game“ – bewusst wurde, ist nicht überliefert. Doch für den heutigen Leser ist es ein feines Kuriosum am Rande.
Der Doppelgänger – Goethes Bilokation
In der anomalistischen Literatur finden sich zahlreiche Andeutungen, verstreut in Biographien und Briefen großer Persönlichkeiten.
So soll Bismarck eine Geistersichtung gehabt haben, kurz nach dem Tod seiner Mutter. Kafka wiederum schrieb seiner Verlobten Felice Bauer von einem Geist, dem er in seiner angemieteten Schreibstube begegnet sei.
Und Goethe? Auch von ihm wird berichtet, er habe sich selbst gesehen – nicht im Spiegel, sondern als körperliche Gegenwart, als sein Doppelgänger.
Dieser Fall wird in Die Heilige Lanze von Trevor Ravenscroft erwähnt. Goethe betrat eines Tages sein Arbeitszimmer in Weimar und sah – auf dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch – sich selbst sitzen. Der Doppelgänger blickte ihn frech an, mit überlegenem Lächeln.
Goethe war für einen Moment verstört, unterdrückte aber seine Unruhe und starrte sein Gegenbild an. Es verschwand nach wenigen Sekunden. Ravenscroft spricht davon, dass es sich um das erste von mehreren solchen Erlebnissen gehandelt habe.
Bilokation – das gleichzeitige Erscheinen an zwei Orten – ist ein uraltes, mystisch belegtes Phänomen. In esoterischen Lehren wird bisweilen von sogenannten Tulpas gesprochen: mental erschaffene Wesen, die unabhängig existieren.
Vielleicht war Goethes Erlebnis ein Vorläufer dieser Vorstellungen. Immerhin fand ich einen ähnlichen Fall aus Hamburg, datiert auf 1946 – ebenfalls an einem Schreibtisch.
Goethe war vieles: Naturforscher, Politiker, Dichter, Philosoph. Doch vor allem war er ein Mensch mit offenem Geist. Wer sein Werk und seine Aufzeichnungen aufmerksam liest, begegnet immer wieder jenen „Rändern der Wirklichkeit“, an denen Vision, Symbol und gelebtes Erleben ineinander übergehen.
Ob flimmernde Lichter in der Tiefe, ein stürzendes Napoleon-Relief oder der Blick in die Augen des eigenen Doppelgängers – Goethe scheint empfänglich gewesen zu sein für jenes, was wir heute das „Paranormale“ nennen. Nicht als Sensation, sondern als Bestandteil der Welt!ʬ