
Wirklich begeistert war ich von Paola Giovettis Buch „Engel – Die unsichtbaren Helfer der Menschen“ nicht. Was ich mir gewünscht hätte – eine fundierte historische Rückschau zum Mythos Engel oder wenigstens eine klar gegliederte Fallsammlung mit überlieferten und gegenwärtigen Begegnungen – blieb aus.
Stattdessen fand ich ein Sammelsurium von lose eingestreuten Fragmenten, die sich dem Leser nur mühsam zu einem Gesamtbild zusammensetzen lassen.
Das Werk wirkt wie ein Puzzle, dessen Deckelbild fehlt: hier ein Hinweis, dort eine Episode – alles bleibt bruchstückhaft. Statt sich auf einen oder zwei Aspekte zu konzentrieren, hinterlässt die Autorin ein Konvolut, das in seiner Großschrift und mit rund 270 Seiten (inklusive vieler ganz- oder halbseitiger Abbildungen) eher haptische Fülle als gedankliche Tiefe bietet.
Und doch: Zwei Beobachtungen sind mir im „Bilderbuch“ aufgefallen – beide betreffen das Thema der Psychographie, also das sogenannte automatische Schreiben.
Gemeint ist jene Vorstellung, dass nichtmenschliche oder „überirdische“ Intelligenzen Menschen als Kanal nutzen, um ihnen Botschaften zu diktieren.
Jakob Lorber & die „Neuoffenbarung“
Ein Beispiel dafür ist der Grazer Musiker Jakob Lorber, der – so wird berichtet – am 15. März 1840 eine innere Stimme vernahm, die ihn zum Schreiben aufforderte.
Was er zu Papier brachte, wurde als „Neuoffenbarung“ bekannt: quasireligiöse Texte, die sich über 10.000 druckreife Seiten erstrecken – fehlerlos, ohne Korrekturen, bis heute erhältlich.
Interessant ist dabei, dass sich viele dieser Texte an Menschen des 20. Jahrhunderts richten und naturwissenschaftliches Wissen enthalten, das Lorber zu Lebzeiten noch nicht bekannt gewesen sein konnte.
Giovetti erwähnt dabei unter anderem Elementarteilchen und astronomische Details. Der zentrale Gedanke dieser Schriften ist ungewöhnlich:
Gott erschafft die Welt, um sich selbst – seine Schöpfungskraft – gewissermaßen im Spiegel zu betrachten. Sein Inneres wird nach außen gekehrt, um sichtbar zu werden. Doch seine erste Schöpfung misslingt: Luzifer wird geboren – erkennt den Schöpfer nicht an und versucht, ihn zu verschlingen.
Als Strafe wird er in die feststoffliche Welt verbannt, in der er bis zum Zerfall der Materie gefangen bleibt. Seine Wut auf uns – die wir als Abbilder Gottes erschaffen wurden – erscheint so in neuem Licht: als ewiger Groll auf das bevorzugte „Zweitprojekt“.
Ein bemerkenswerter Perspektivwechsel zur Frage von Schöpfung und „dem Bösen“.
Emanuel Swedenborg & die Räume des Jenseits
Ein weiterer „Kanal“ war Emanuel Swedenborg, der als Medium eines regelrechten Jenseits-Reiseführers fungierte. Seine Visionen beschreiben eine Welt nach dem Tod, in der Seelen sich entsprechend ihrer inneren Natur zusammenschließen und eigene Bereiche bilden – eine metaphysische Form des sozialen Magnetismus.
Gleich und gleich gesellt sich gern – auch im Jenseits. Aus den „bösen Fingern“ werden Dämonen, aus anderen – durch Erleuchtung – Engel. Swedenborgs Jenseits ist kein dogmatisches Himmelreich, sondern ein psychisch strukturierter Kosmos.
Wagner, Mann & das Unbewusste als Autor
Die Frage, ob psychographische Phänomene auch im Bereich der Kunst und Literatur eine Rolle spielen, ist nicht neu – und lässt sich an zwei prominenten Beispielen weiterdenken.
Richard Wagner, so liest man gelegentlich in seinen Biographien, geriet beim Komponieren in tranceartige Zustände – meist nur in einem Nebensatz erwähnt. In Jonathan Carrs Der Wagner-Clan fand ich immerhin folgenden Hinweis:
„… seine Behauptung, ein tranceartiges Erlebnis in La Spezia habe ihm 1853 den Beginn von Rheingold vermittelt.“
War das ein Fall von Psychographie – oder bloß Inspiration? Die Grenze ist fließend.
Auch Thomas Mann interessierte sich zeitlebens für parapsychologische Fragen – ein Thema, das in neuen Biographien allerdings kaum noch auftaucht.
Und sein Bruder Heinrich Mann schilderte die Entstehung von Professor Unrat mit den Worten:
„Ich wusste nicht, was ich tat […] in meinem Kopf lief der Roman ab.“
Er musste ihn nur noch aufschreiben. Das klingt – folgt man Seth und ähnlichen Quellen – ganz wie eine klassische „Eingebung“: Inhalte, die dem Autor ins Bewusstsein „eingeflüstert“ werden, um dann in literarischer Form zu erscheinen.
Fazit & Ausblick
Giovettis Buch bleibt in der Gesamtbetrachtung leider hinter den Erwartungen zurück – zu diffus, zu beliebig, zu oberflächlich. Doch die wenigen Hinweise auf psychographische Kanäle führen auf eine lohnenswerte Spur:
Gibt es tatsächlich Instanzen jenseits des Sichtbaren, die über den Umweg menschlicher Medien auf unsere Welt einwirken? Ich werde dem nachgehen – weitere Beispiele folgen.ʬ
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📌 Update am 21.05.2025:
Weiteres Beispiel eingefügt und mit neuem Titel versehen!ʬ